| von Kilian Stinglhammer

Daten als Entscheidungstreiber: Der Einsatz von Evidence-Based Management in agilen Umgebungen

Erhöhung der Transparenz und Effektivität in agilen Frameworks durch den strategischen Einsatz von EBM

In der heutigen schnelllebigen IT-Welt sind schnelle und fundierte Entscheidungen unerlässlich, um mit den ständigen Marktveränderungen und technologischen Innovationen Schritt zu halten. Evidence-Based Management (EBM) bietet einen strukturierten Ansatz, um solche Entscheidungen zu treffen und die Effizienz von Projekten zu maximieren. Dieser Ansatz ist besonders wirkungsvoll, wenn er in Kombination mit agilen Methoden wie dem Scaled Agile Framework (SAFe) und Scrum angewendet wird. Durch die systematische Nutzung von empirischen Daten ermöglicht EBM es Unternehmen, ihre agilen Prozesse auf eine solide Datenbasis zu stellen und kontinuierlich zu verbessern.  

Die Integration von EBM in SAFe unterstützt nicht nur die Entscheidungsfindung auf allen Ebenen des Unternehmens, sondern trägt auch dazu bei, dass Teams adaptiver und reaktionsschneller auf die Bedürfnisse ihrer Kunden eingehen können. Im weiteren Verlauf dieses Artikels werden wir die grundlegenden Prinzipien von EBM und dessen Anwendung in der Praxis detailliert betrachten. Zusätzlich illustriert ein praktisches Fallbeispiel aus der Automobilindustrie, wie ein DevOps-Team sich dazu entschieden hat, nach Herausforderungen durch Umstrukturierungen und neue Projektteamzusammensetzungen, wieder Metriken einzuführen und den strategischen Einsatz von EBM zu intensivieren. Dieses Beispiel verdeutlicht die Notwendigkeit, agilen Prozessen durch datengetriebene Entscheidungen neue Impulse zu geben und somit die Leistungsfähigkeit und Zielerreichung der Teams zu verbessern. 

Was ist Evidence-Based Management (EBM)?

EBM ist ein Ansatz, der darauf abzielt, Managemententscheidungen durch die systematische Nutzung von empirischen Daten zu verbessern. Im Kern geht es darum, fundierte und nachweisbare Entscheidungen zu treffen, basierend auf realen Daten statt auf Intuition oder ungetesteten Annahmen. 

Die Grundprinzipien von Evidence-Based Management 

Empirische Evidenz nutzen: Entscheidungen sollten stets auf verlässlichen, überprüfbaren Daten basieren. Dies umfasst die systematische Sammlung und Analyse sowohl quantitativer als auch qualitativer Daten. 

Systematische Methodik: Strukturierte Methoden zur Datenerhebung und -analyse gewährleisten, dass Entscheidungen konsistent und reproduzierbar sind. A/B-Tests, Umfragen, Datenanalysen und Marktstudien sind typische Beispiele für solche Techniken. 

Kontinuierliche Verbesserung: EBM ist ein iterativer Prozess, der regelmäßige Überprüfungen und Anpassungen von Strategien und Prozessen fördert, um die Entscheidungsfindung kontinuierlich zu verbessern. 

Die Anwendung von EBM in der Praxis 

Daten sammeln: Der erste Schritt im EBM-Prozess ist die systematische Erfassung relevanter Daten aus internen Quellen wie Leistungskennzahlen, Mitarbeiterfeedback und Kundenumfragen sowie aus externen Quellen wie Marktstudien und wissenschaftlicher Forschung.

Daten analysieren: Nach der Sammlung werden die Daten mittels fortschrittlicher Analysetools untersucht, um Muster, Trends und Zusammenhänge zu identifizieren. Diese Analysen helfen, fundierte Hypothesen zu entwickeln und zu testen.

Entscheidungen treffen: Basierend auf den analysierten Daten werden informierte Entscheidungen getroffen, die darauf abzielen, den größtmöglichen positiven Einfluss auf die Unternehmensziele zu haben.

Ergebnisse überwachen: Nach der Implementierung von Entscheidungen wird deren Wirksamkeit kontinuierlich überwacht. Dies ermöglicht schnelle Reaktionen auf Veränderungen und notwendige Anpassungen.  

 

Value Delivered Scrum
Bildquelle: https://www.scrum.org/resources/evidence-based-management

Dabei zielt EBM darauf ab, drei Arten von Zielen zu unterstützen:

  • Strategische Ziele: Langfristige Ziele, die auf die Realisierung der Mission und Vision des Unternehmens ausgerichtet sind. Diese sind oft umfangreich und mit vielen Unsicherheiten behaftet, was den Einsatz empirischer Methoden notwendig macht.
  • Zwischenziele: Mittelfristige Ziele, die den Fortschritt auf dem Weg zu strategischen Zielen aufzeigen. Sie sind ambitioniert, aber konkreter und weniger unsicher. 
  • Taktische Sofortziele: Kurzfristige Ziele, die sich auf sofortige Verbesserungsmaßnahmen konzentrieren. Diese sind spezifisch, klar definiert und bilden die Grundlage für Experimente und Anpassungen. 

EBM und Value Generierung im agilen Kontext (SAFe)

Die Einführung von Evidence-Based Management in agile Frameworks wie SAFe und Scrum bietet umfassende Möglichkeiten, operative Exzellenz durch eine datengetriebene Kultur zu erzielen. Um die Vorteile vollständig auszuschöpfen, ist es entscheidend, dass Teams verstehen, wie die verschiedenen EBM-Wertebereiche angewandt und optimiert werden können. Diese Bereiche sind nicht nur Metriken, sondern leiten Entscheidungen und Innovationen in einer Weise, die agilen Teams hilft, ihre Ziele schneller und effektiver zu erreichen.

Agility Business Value Scrum
Bildquelle: https://www.scrum.org/resources/evidence-based-management

Current Value

Der aktuelle Wert eines Produkts oder einer Dienstleistung ist ein zentrales Maß, das aufzeigt, wie gut es den kontinuierlichen Bedürfnissen der Kunden entspricht. Im Kontext von Evidence-Based Management ist der aktuelle Wert nicht nur eine Messung der gegenwärtigen Effektivität, sondern auch ein Indikator für die anhaltende Relevanz des Produkts im Markt. Durch EBM werden Entscheidungsträger befähigt, auf Basis realer Nutzungsdaten und Kundenfeedbacks die Leistung des Produkts fortlaufend zu bewerten und anzupassen. 

Im Rahmen von SAFe wird dieser Wert durch kontinuierliche Feedbackschleifen und Value Stream Mapping hervorgehoben, welche dazu dienen, den dauerhaften Nutzen für die Kunden klar darzustellen und zu optimieren. Diese Methoden ermöglichen es Teams, den Einfluss bestehender Features tiefgehend zu verstehen und zu erkennen, welche Aspekte des Produkts die größten Beiträge zum geschäftlichen Erfolg leisten. Darüber hinaus unterstützt der Lean Portfolio Management (LPM) Prozess in SAFe die strategische Bewertung und Priorisierung von Investitionen, die darauf abzielen, den aktuellen Wert zu erhöhen und die Ressourcen effizient auf die wertvollsten Funktionen und Verbesserungen zu konzentrieren.

Unrealized Value

Der nicht realisierte Wert identifiziert das Wachstumspotential eines Produkts oder einer Dienstleistung. SAFe fördert das Verständnis für diesen Wertebereich durch strategische Review-Sitzungen und die regelmäßige Aktualisierung der Programm-Roadmaps, die langfristige Ziele und Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigen. Diese Artefakte ermöglichen es Teams, Bereiche mit hohem Potenzial zu erkennen, die noch nicht vollständig ausgeschöpft sind, und zu planen, wie diese Lücken durch neue Technologien oder Prozessverbesserungen geschlossen werden können. Das Lean Portfolio Management spielt eine Schlüsselrolle, indem es Investitionen in Technologie und Entwicklung leitet, um sicherzustellen, dass der unrealisierte Wert durch gezielte Initiativen realisiert wird.

A2I (Ability to innovate)

In SAFe wird Innovation als grundlegender Treiber für den Geschäftserfolg betrachtet, weshalb die Fähigkeit zur Innovation (A2I) als essenzielle Komponente in alle Ebenen und Prozesse des Frameworks integriert ist. Diese tiefgreifende Integration gewährleistet, dass Innovation nicht nur in dedizierten Phasen, sondern kontinuierlich im gesamten Entwicklungsprozess gefördert wird. Neben der speziellen Innovation and Planning (IP) Iteration, die Raum für Experimente und Innovationen bietet, fördert SAFe die kontinuierliche Innovation durch:

  • Continuous Exploration: Integriert in die Continuous Delivery Pipeline, unterstützt dieser Prozess die fortlaufende Entdeckung und Umsetzung neuer Ideen, um das Backlog mit innovativen Lösungen zu bereichern.
  • Architectural Runway: Dieser unterstützt Innovationen, indem er sicherstellt, dass die technische Basis sowohl die aktuellen als auch zukünftigen Anforderungen unterstützt.
  • Lean Portfolio Management (LPM): Strategische Investitionsentscheidungen fördern Innovationen, die einen hohen geschäftlichen Wert bieten. 

Die enge Verzahnung von Continuous Exploration mit DevOps-Praktiken und Continuous Deployment ermöglicht es Teams, Innovationen schnell umzusetzen und deren Wirksamkeit in realen Anwendungsfällen zu testen.

T2M (Time to market)

Die Verkürzung der Zeit bis zur Markteinführung ist entscheidend für den Erfolg in dynamischen Märkten. SAFe adressiert dies durch die Implementierung von Agile Release Trains (ARTs), die eine koordinierte, schnelle und zuverlässige Lieferung von Produktinkrementen sicherstellen. ARTs ermöglichen es, mehrere Teams zu synchronisieren und die Auslieferung über große und komplexe Unternehmensstrukturen hinweg zu optimieren. Die Continuous Delivery Pipeline spielt eine zentrale Rolle, indem sie Automatisierung von Build-, Test- und Deploy-Prozessen fördert, was nicht nur die Markteinführungszeit reduziert, sondern auch die Qualität und Zuverlässigkeit der Produkte verbessert. 

Durch die kontinuierliche Bewertung und Optimierung dieser vier EBM-Wertebereiche in der SAFe-Umgebung können Teams ihre Prozesse und Produkte systematisch verbessern. Die regelmäßige Überprüfung und Anpassung im Rahmen von SAFe-Retrospektiven und Planungsmeetings ermöglicht es den Teams, sich effektiv an verändernde Marktbedingungen anzupassen und die Kundenbedürfnisse zielgerichtet zu erfüllen. Dies fördert eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung und des Lernens, die für den langfristigen Erfolg in technologiegetriebenen Branchen unerlässlich ist.

Fallbeispiel: Wiedereinführung von Metriken in einem Automotive DevOps-Projekt

Das folgende Beispiel zeigt, wie ein Automotive DevOps-Team EBM nutzt, um spezifische Herausforderungen zu meistern. 

Hintergrund

In einem langjährig erfolgreichen DevOps-Projekt zur Entwicklung einer Near-Time Streamingplattform für Fahrzeugdaten stieß ein erfahrenes Team auf neue Herausforderungen. Das Projekt, das kontinuierliche Folgeaufträge von einem führenden Unternehmen im Automotive-Bereich erhielt, musste sich anpassen, um weiterhin erfolgreich zu sein. Im letzten Jahr traten u.A. durch Umstrukturierungen und Änderungen in der Teamzusammensetzung neue Herausforderungen auf. 

Probleme identifizieren

Die multifaktoriellen Veränderungen führten zu verschiedenen Problemen, wie beispielsweise: 

  • Spillover nach jedem Sprint, was bedeutet, dass Arbeit unvollständig blieb und in den nächsten Sprint übertragen wurde. 
  • Wachsende Bugwelle, wodurch die Anzahl der Features, die von Sprint zu Sprint nicht geliefert wurden, kontinuierlich anstieg. 
  • Nicht-Einhaltung von PI-Commitments, was zu Verzögerungen bei der Fertigstellung wichtiger Projektmeilensteine führte. 

Die Entscheidung für EBM 

Um diese Probleme anzugehen, entschied das Team sich wieder verstärkt auf einen datengetriebenen Ansatz zu konzentrieren. Die Entscheidung basierte auf der Überzeugung, dass eine ausgewogene Transparenz – nicht Micromanagement – dem Team helfen würde, besser zu performen und effektiver auf Herausforderungen zu reagieren. 

Umsetzungsstrategie 

Neben anderen „klassischen“ Metriken entschied sich das Team auch für die Erhebung einer interessanten, spezielleren Metrik, Teammoral (statt Teamzufriedenheit). Daher fokussiert sich dieser Artikel auf diese neue Metrik.
Diese unterscheidet sich grundlegend von der Teamzufriedenheit, da sie stärker auf das Engagement und die Motivation des Teams anstatt nur auf das subjektive Wohlbefinden fokussiert. Die Teammoral ist besonders aussagekräftig, weil sie die Dynamik innerhalb des Teams und deren direkten Einfluss auf die Produktivität und Effektivität widerspiegelt. Um dies zu messen, hat das Team begonnen, im Rahmen der Retrospektive diese Metrik durch einen kurzen Fragebogen regelmäßig zu erheben. Diese Informationen ermöglichen es, proaktiv auf Schwankungen in der Teamdynamik zu reagieren, was wiederum hilft, potenzielle Probleme frühzeitig zu erkennen und anzugehen, bevor sie die Projektleistung negativ beeinflussen können. 

Von der Einführung der Teammoral als Metrik erwartet sich das Team nachhaltige Auswirkungen auf die im vorherigen Kapitel dargestellten vier Valuefelder:
Erstens steigert ein motiviertes und engagiertes Team unmittelbar die Qualität und Effektivität der aktuellen Projektergebnisse, was den laufenden Wert des Produkts, den Current Value, erhöht. Zweitens stärkt eine hohe Teammoral die Kreativität und Innovationskraft, was zur Erschließung neuer Potenziale und zur Erweiterung der Produktfunktionalitäten beiträgt, was den Unrealized Value erhöht. Drittens sind Teams mit hoher Moral in der Regel risikobereiter und offener für Experimente, was direkt die Innovationsfähigkeit fördert und neue Lösungswege ermöglicht, dies wirkt sich positiv auf die Ability to Innovate aus. Viertens kann ein engagiertes Team schneller und effizienter auf Veränderungen reagieren, wodurch die Zeit bis zur Markteinführung neuer Produkte, der Time to Market, verkürzt wird. 

Während Teammoral zweifellos einen erheblichen Einfluss auf die Effektivität und die Innovationsfähigkeit eines Teams hat, könnte ihre direkte Auswirkung auf die „Time to Market“ und den „Unrealized Value“ weniger eindeutig sein als bei den anderen Feldern.  Dennoch ist es wichtig, die positive Atmosphäre und die damit verbundenen produktivitätssteigernden Effekte, die durch eine hohe Teammoral geschaffen werden, nicht zu unterschätzen. 

Für eine tiefergehende Diskussion über diese Metrik und ihre Unterschiede zur Teamzufriedenheit soll hier nochmals der Blogartikel von Oliver empfohlen werden, der unter folgendem Link zu finden ist: Teammoral statt Teamzufriedenheit. 

Durch die kontinuierliche Analyse erwartet das Team, seine Prozesse besser steuern und optimieren zu können. Die klar definierten Metriken sollen dabei helfen, Verantwortlichkeiten zu klären, Fortschritte transparent zu machen und letztendlich die Produktqualität sowie die Zufriedenheit des Kunden zu steigern. 

Fazit

Abschließend lässt sich sagen, dass die Anwendung von Evidence-Based Management (EBM) innerhalb von SAFe nicht nur unmittelbare Projektherausforderungen adressiert, sondern auch eine nachhaltige Grundlage für zukünftige Entwicklungen schafft. Die im Fallbeispiel beschriebenen Anpassungen verdeutlichen, wie eine datengetriebene Entscheidungskultur die Transparenz verbessert, die Effizienz steigert und die Zufriedenheit der Kunden erhöht. Diese Fortschritte sind essenziell, um auf Marktveränderungen schnell und effektiv reagieren zu können. Zukünftig sollte EBM noch stärker in die digitalen Transformationsstrategien von Unternehmen integriert werden, um deren Agilität, Innovationsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit weiter zu steigern. Indem Unternehmen kontinuierlich EBM-Wertebereiche bewerten und optimieren, positionieren sie sich optimal, um nicht nur aktuellen Anforderungen gerecht zu werden, sondern auch proaktiv zukünftige Herausforderungen zu meistern und Chancen zu nutzen. 

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Über den Autor

Kilian Stinglhammer ist Consultant bei der Woodmark. Er ist darauf spezialisiert, Kundenanforderungen in technische Lösungen zu übersetzen und die Brücke zwischen Kundenwünschen und technischer Umsetzung zu bilden. Kilian ist mehrfach zertifiziert im Bereich Scaled Agile Framework (SAFe) und Amazon Web Services (AWS). Seine Expertise konnte er in verschiedenen Projekten in den Bereichen Automotive, Food und IT einbringen.

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